Die Zeit, 22. 12. 04
Gottes eigener Park
Das Holy Land Experience holt Jerusalem nach Florida – als Freizeitparadies für christliche Fundamentalisten
Von Ute Eberle
So also sieht ein Vergnügungspark für Menschen aus, die die Evolution für ein Hirngespinst und Abtreibung für eine Todsünde halten. Gar nicht so viel anders als jeder andere Freizeitpark. Das Gras ist grün geschniegelt, die Via Dolorosa makellos gefegt, das Fast-Food-Restaurant Oasis Palms Café serviert Allerweltsnacks mit stolzen Preisen und albernen Namen (Goliath-Burger und Jaffa-Hotdogs). Auch die Replikate berühmter Bauwerke fehlen nicht. Jesu Grabstätte etwa ist komplett nachgestellt, samt flackerndem Öllämpchen und verknülltem Leichentuch, designt von der gleichen Firma, die auch den SeaWorld-Abenteuerpark entwarf.
Dennoch merkt der Besucher schon beim Betreten, dass das Holy Land Experience kein Freizeitpark wie jeder andere ist. »Gott segne Sie«, sagt die Frau, die das Ticket am Drehkreuz entgegennimmt. Sie heißt Bonnie, ist Exkrankenschwester und entwaffnend plump, mit kurzen blonden Haaren und Krähenfüßen um die Augen. Sie stutzt. »Sie kommen mir so bekannt vor«, sagt sie. »In welche Kirche gehen Sie denn?«
Die ehrliche Antwort? In gar keine. Doch das werde ich während meiner Tage im Holy Land Experience immer wieder verschweigen, zunächst aus Höflichkeit, später aus einem Gefühl der Beklemmung. »Ich bin nicht von hier«, antworte ich, und Bonnie nickt lächelnd.
Mit 60 Stundenkilometern entsteigt Gott dem Altar
Die Hochglanzbroschüre aus dem Hotelzimmer beschreibt das Holy Land Experience als »Bibelabenteuerpark«, doch das darf man nur zum Teil wörtlich nehmen. Es gibt viel Bibel und wenig Abenteuer. Keine Achterbahnen oder Karussells oder anderen leichtfertigen Nervenkitzel. Und so etwas wie Spezialeffekte findet man allenfalls im Wüstentempel Wilderness Tabernacle, wo ein Schauspieler im künstlichen Mondlicht alttestamentarische Riten zelebriert. Dann erscheint Gott in Form eines krachenden Lichtblitzes samt Kunstnebel, der mit 60 Stundenkilometern aus der Tiefe des Altars emporgeschleudert wird. Zum Abschied sagt der Schauspieler in seiner weißen Robe: »Ich hoffe, dies hat Sie bewogen, den Herrgott in einem neuen Licht zu sehen.«
Verglichen mit anderen Attraktionen im Freizeitparkgürtel rund um Orlando ist das Holy Land Experience ein kleiner Mitspieler. Sein Gelände umfasst sechs Hektar, die bequem in 20 Minuten abgegangen werden können. Walt Disney World, 14 Kilometer nordwestlich gelegen, erstreckt sich über 12000 Hektar, und allein sein Magic-Kingdom-Park zieht 15 Millionen Besucher pro Jahr an. Doch es gibt Menschen, die kommen von weit her, um das Bibelabenteuerland zu sehen. Auf dem Parkplatz stehen Wagen aus Vermont, Maryland und Texas. Es sind christliche Familien darunter, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, aus Angst vor verderblichen Einflüssen wie der Evolutionslehre oder den Kurven von Britney Spears. Auch Kirchengruppen, die einen Ausflug machen. Die meisten Besucher sind weiß, gesetzt und fortgeschrittenen Alters. Baseballkappen verdecken schütteres Haar, Gummizugbündchen schmiegen sich an üppige Taillen. Besonders an heißen Tagen wacht Betsy, die offizielle Krankenschwester des Parks, oft einsatzbereit im Hintergrund.
Nach Schätzungen leben in den USA rund 80Millionen konservative Christen. Ihnen spricht der Park aus der Seele, doch noch mehr möchte er sich an Menschen wenden, die Gott aus den Augen verloren haben. »In gewissem Sinne wollen wir das Gleiche wie Ihr großer Landsmann Martin Luther. Wir versuchen, die Bibel zugänglich zu machen«, sagt Reverend Marvin Rosenthal. Er ist der Schöpfer des Themenparks, ein schwerer Mann mit fleischigen Wangen und der Gewandtheit eines Schlangenölverkäufers. Er empfängt mich in seinem Büro voll schwerer, dunkler Möbel. Einst arbeitete er als Marinesoldat und als Tänzer, doch dann »empfing« er Gott und begann, auch andere zu bekehren.
Rosenthal glaubt fest daran, dass die Krisen unserer Zeit nicht weniger sind als die Vorboten des Armageddon. »Ich weiß nicht, ob es in 25 oder in 50 Jahren passieren wird, aber es kommt eine schlimme Zeit für die Welt.« Er legt die Fingerspitzen vor seinem runden Bauch aneinander. »Mehr als alles andere hoffe ich, dass unsere Gäste heimkehren und ihre Bibeln abstauben. Denn für die, die auf der Seite Gottes stehen, wird die Zukunft glorreich sein.« Das Holy Land Experience ist sein Versuch, mit den Mitteln weltlicher Unterhaltung möglichst viele Seelen zu retten. Die meisten Besucher allerdings sind schon längst überzeugt. Sie nicken und klatschen, als der Führer im Jerusalem-Modell ruft: »Jesus wird kommen! Schreibt es euch in die Kalender!«
Auch Jane und John Wilson gehören zu diesen Menschen. Sie haben Visitenkarten, auf denen »Jesus liebt dich« steht, und eine Handynummer, unter der ich sie jederzeit anrufen darf, wie Jane mir versichert. Sie sprechen mich in der Schlange vor dem Oasis Palms Café an: eine kleine Frau mit grauen Locken und gemusterter Bluse und ein schwerfälliger Mann mit blauen Augen, die sehr ernsthaft durch enorm große Brillengläser blicken. Sie stammen aus Texas, tingeln aber oft monatelang durch Altenheime und Krankenhäuser im ganzen Land, wo sie religiöse Lieder singen. »Wir dienen dem Herrn«, sagt Jane mit aufrichtiger Freude. Sie laden mich ein, an ihrem Tisch zu essen. Über Burgern und Pommes frites erzählt John, wie er zur Religion fand. Es ist die bekannte traurige Geschichte von einem trostlosen Leben voller Angst, Alkohol und Zigaretten. »Ich war ein Wrack«, sagt er. Dann begann er, die Bibel zu lesen, und gemeinsam mit seiner Frau empfing auch er den Herrn.
Und nun sitzen sie hier, strahlend, und verpassen die nächste Show, eine »dramatische Vignette« am Grab Jesu, wie das Programm verkündet. »Es gibt doch Wichtigeres«, wehrt Jane ab. »Etwa, dass wir hier gemeinsam reden. Ich bin überzeugt, dass Gott einen wunderschönen Plan für Sie hat.« Und wer nicht an Gott glaubt? Kommt der in die Hölle? Janes Brauen verknoten sich schmerzlich, als sie mich anblickt. »Ja«, sagt sie mit trauriger Stimme. Von unserem Fenstertisch blicken wir geradewegs auf einen sorgfältig angelegten Teich, an dessen gegenüberliegendem Ufer in übermannsgroßen Buchstaben steht: »Er ist auferstanden.«
Die Kreuzigung wurde um acht Monate verlängert
Bevor sie dann doch gehen, bitten sie, mit mir beten zu dürfen. Über ausgequetschten Senftüten und fettigen Servietten reichen wir uns die Hände. John und Jane senken ihre Köpfe. »Herr, wir danken dir für die kostbaren Momente mit dieser jungen Dame und bitten dich, oh Herr, dass du sie näher an dich heranführst«, intoniert John. »Oh ja, Herr«, murmelt Jane, und: »Danke, Herr.« Ihr Daumen streichelt hypnotisch über meinen Handrücken.
Um eine Bevölkerungsgruppe müht Rosenthal sich besonders: die Juden. Mit seiner Kirche Zion’s Hope will er sie bewegen, wie er selbst zum Christentum zu konvertieren. Dass er dazu ausgerechnet die Kulisse jüdischer Heiligtümer benutzt, nehmen manche ihm übel. So umfasst das Holy Land Experience ein sechsstöckiges Modell des Herodianischen Tempels, von dessen Original heute nur noch die Klagemauer steht. Parkmitarbeiter werfen gern ratlos die Hände in die Luft, wenn sie zu der Stelle in ihrer Erzählung kommen, wo der Tempel zerstört wird: »Jesus hatte prophezeit, dass kein Stein auf dem anderen bleiben würde, aber die Juden wollten es ja nicht glauben.«
Das Konzept des Parks empörte einige Juden derart, dass sie für den Tag der Eröffnung im Februar 2001 zu Protestveranstaltungen aufriefen. Es kamen allerdings nur zwei Demonstranten – gerade genug, um rechts und links ein Banner festzuhalten. Doch der Streit verschaffte Rosenthal Publicity in ganz Amerika und sogar im Ausland. So kam es, dass das Holy Land Experience in einem Jahr, in dem die Besucherzahl in Florida insgesamt um vier Prozent zurückging, viermal mehr Gäste anzog als erhofft: 325000 statt 75000. Dieser Tage erwartet das Bibelabenteuerland seinen millionsten Gast und plant eine Erweiterung um vier Hektar, wo möglicherweise die Arche Noah Platz finden soll.
Auch über ein größeres Theater wird nachgedacht. Das Holy Land Experience führt mehrmals täglich Musicalversionen biblischer Ereignisse auf. Im Moment zählt natürlich die Weihnachtsgeschichte dazu. Doch auch die ursprünglich nur für die Osterzeit angesetzte Kreuzigung begeisterte so viele Zuschauer, dass ihre Aufführungen bis in den Dezember verlängert wurde. Viele Zuschauer reagieren tief ergriffen, wenn der Jesus ihres Glaubens plötzlich vor ihnen zu stehen scheint. Manchmal wandelt er durch die Menge und überreicht Blumen. »Und man kann sehen, wie sich ihre ganze Mimik verändert«, sagt Donna Carvell, eine Sängerin. Es kommt vor, dass Besucher so mitgerissen werden, dass sie die »Römer« daran hindern wollen, Jesus auszupeitschen.
Nach acht Monaten im beinahe täglichen Einsatz hat der Haupt-Jesus seinen Part an einen Stellvertreter übergeben. In Centurion, einem Musicalspektakel jeden Mittag auf dem Vorhof des Herodianischen Tempels, heilt er den sterbenden Sklaven eines römischen Offiziers. Aber auch er ist ein Bilderbuchjesus mit schulterlangem Haar, wallender Robe und sanftem Blick. Dass er lispelt, als er sagt: »Ich gehe sofort los, ihn zu heilen« – es macht ihn nur menschlicher. Schließlich erhebt sich der Sklave geheilt von der Bahre und blinzelt in die helle Dezembersonne Floridas. Die Zuschauer klatschen begeistert.
Aber das Holy Land Experience hat auch eine andere, stillere Seite. Einen Seelenfrieden, der von den Menschen ausgeht, die sich hier bewegen, der Johns Blutdruck sinken ließ und den auch Menschen spüren, die gewöhnlich über Religion lästern. Ich überrede Ouafa Elkasmi, die vom Islam zum Christentum übergetretene Öffentlichkeitsarbeiterin, mich zur Mitarbeiterandacht einzuladen. Alle Angestellten des Parks sind Christen, das ist Einstellungskriterium. Es ist ein kleines, intimes Grüppchen, das sich um den Redner des Tages schart, einen Mann mit stillem Humor und Charme, der seine Bibelinterpretationen mit Anekdoten schmückt, die seine Zuhörer sichtlich fesseln. Vor allem seine letzte Geschichte scheint sie zu bewegen.
Es geht darin um einen Flugzeugabsturz und um Opfer, die so fürchterlich verbrannten, dass manche nie identifiziert wurden. Und um die Tochter eines der Opfer, eine junge Schülerin, die vor 300 versammelten Mitschülern erklärte, sie werde ihre Mutter im Himmel wiedersehen. »Wenn einer von euch das auch haben möchte«, sagte sie, »dann stelle er sich jetzt neben mich.« Nichts geschah zunächst, doch dann erhob sich ein Kind, ein zweites folgt. »Am Ende standen 200 Kinder neben ihr«, sagt der Redner. »Und am nächsten Tag kam ich zufällig in die Gemeinde, um einen Workshop über Jugendarbeit zu halten.« Er schweigt, während die Zuhörer beeindruckt murmeln. »Wenn Gott etwas plant, dann plant er es richtig.«
Es sind diese Worte, die mich verfolgen, als ich wenige Tage später das Flugzeug zurück nach Europa besteige. Es ist ein friedlicher Flug, nachts, bei ruhigem Wetter, doch der Mann neben mir – ein Neurochirurg aus Ungarn – klammert sich mit weißen Knöcheln an die Lehne vor ihm. Bei Turbulenzen stöhnt er guttural. »Sind Sie optimistisch, dass wir überleben werden?«, fragt er mit Schrecken in der Stimme. Und 30 Sekunden später: »Und jetzt? Sind Sie noch immer optimistisch?« Ich beruhige ihn, so gut es geht, und erzähle ihm nicht, wie der Redner seine Geschichte beendete. »Diese Frau musste sterben«, sagte er, »um 200 Menschen den Weg in den Himmel zu weisen.«
Anreise: Orlando wird von mehreren Fluggesellschaften angeflogen. Derzeit gültiger Sondertarif bei Lufthansa ist 410 Euro plus Steuern und Gebühren. Der Park ist nur mit dem Auto zu erreichen: Interstate 4, Ausfahrt 78
The Holy land Experience: 4655 Vineland Road, Orlando, Florida 32811, Tel. 001-407/ 3672065,
theholylandexperience.com . Eintrittspreise für Erwachsene 29,99 US-Dollar, etwa 23 Euro, für Kinder 19,99 US-Dollar, etwa 15 Euro
Täglich geöffnet mit Ausnahme von Thanksgiving und Weihnachten
Unterkunft: Peabody Orlando, 9801 International Drive, Orlando, Florida 32819, Tel. 001-407/3524000,
peabodyorlando.com . Das luxuriöse Hotel gilt als die erste Adresse in Orlando und ist bekannt für die Peabody-Enten, die täglich durch die Lobby spazieren. Die Zimmerpreise beginnen bei etwa 225 Euro pro Nacht. Im Hotel Marriott Orlando Downtown, 400 West Livingston Street, Orlando, Florida 32801, Tel. 001-407/8436664,
marriott.com , kostet eine Übernachtung ab 75 Euro, und im Days Inn Downtown Disney, 12799 Apopka Vineland Road, Orlando, Florida 32836, Tel. 001-800/6958284, ist eine Übernachtung ab 30 Euro zu haben
Sehenswürdigkeiten: In der Umgebung von Orlando gibt es etliche Themenparks, darunter Universal Studios und Disney World
Im Dezember lohnt sich ein Abstecher in den kleinen Ort Celebration. Die dortige Hauptstraße wird jeden Abend künstlich beschneit, wozu aus versteckten Lautsprechern Freudentöne und Weihnachtslieder erklingen
Auskunft: Orlando Tourism Bureau, c/o Rukhsana Timmis Tourism Marketing, Angelbergstraße 7, 56076 Koblenz, Tel. 0800/ 1007325,
orlandoinfo.com de
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