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Raue Zeiten auf dem Jahrmarkt
Südkreis . Der "Polyp" rotiert in rasanter Schräglage. Im massigen Rund des Riesenrads entschweben Gondeln über die Dächer der Stadt.
Die Achterbahn dreht in irrwitzigem Tempo ihre Loopings. Aus gewaltiger Höhe rast im "Free Fall" ein Metallkorb nach unten, Sicherheitskäfig für kreischende Menschen. Der Adrenalinspiegel steigt, das Herz schlägt Kapriolen.
Immer größer, immer schneller, immer besser, immer attraktiver: Das Anspruchsdenken hat auch vor dem Jahrmarkt nicht halt gemacht. Hightech, Sensation sind angesagt. Darauf steht das Publikum. Da mögen die mit Muskelschmalz bewegte Schiffschaukel, die kleine Puppen-Wahrsagerin hinter Glas, der alte Kraftprotz "Hau den Lukas" noch so verschämt dazwischen drängeln, noch so nostalgisch anmuten: Beim heutigen Publikum landen sie keinen Stich mehr.
Die Zeiten sind rau geworden auf dem Jahrmarkt. Keiner weiß das so gut und so genau wie der 75-jährige Gustav Steinbauer. Niedersachsenweit ist der Schausteller-Sprecher seit rund 30 Jahren aktiv im Einsatz für die Kollegen. Die Frühjahrsmärkte in Stolzenau, in Rehburg haben es im März gerade wieder bewiesen. Und auch der nächste vom 31. März bis 3. April in Nienburg wird mit der Erkenntnis draufsatteln: Die einfache Bude, der Ursprung des Jahrmarkts, hat ausgedient.
Starbesetzung ist gefragt, wie Twister, Autoscooter, Breakdance und Flugsimulator. "Die Jugend will Technik, das ist unser Problem", ist Steinbauer sicher und zieht den Vergleich zur "aggressiven, primitiven Reklame", beispielsweise in Discos: "Die ersten ,Drei Drinks zum Nulltarif´ oder ,Zehn nackte Friseusen´: Auf den Zug springen junge Leute auf, aber das können wir nicht und das wollen wir auch nicht." Doch das ist nur einer von vielen Faktoren.
Für den jungen Gustav Steinbauer, gelernter Großhandelskaufmann und Schneider, der später vom Onkel "in den Beruf gepresst" worden war, hat das Schausteller-Leben von jeher "ganz einfach Freiheit" bedeutet. In Crailsheim geboren, fasste er in Augsburg bei der Firma Gerstmeier Fuß, betreute dort Autoscooter.
Als er 1955 seine Elisabeth heiratete, wusste er damit auch eine weit zurückreichende Schausteller- und Artisten-Dynastie an seiner Seite. Und obwohl Elisabeth schon als Kind "niemals Schausteller" werden, sondern ihren Traumberuf Schneiderin hatte ergreifen wollen, gingen beide ins Schausteller-Gewerbe. Zwei ihrer sechs Kinder, Gustav-Paul (40) und Johann-Ernst (50) sind in ihre Fußstapfen getreten. "Sylvia, Karin, Petra und Monika aber wollten sesshaft bleiben", erzählt die 70-jährige Elisabeth Steinbauer von ihren vier Mädchen.as Ehepaar Steinbauer kennt den Jahrmarkt von Grund auf. Dosenwerfen in Bayern war der erster Broterwerb in eigener Regie der im niederbayerischen Osterhofen geborenen jungen Frau, während Gustav bei Schaustellerfirmen in Würzburg und Hamburg angestellt war.
Beide wissen nur zu gut um das Auf und Ab, um Hoffnung und Rückschläge in diesem Gewerbe. 1975 ging´s endlich mit Verlosung, Ballwerfen und so genannten Warenausspielern in die Selbständigkeit. Die Pizzeria kam 1980 dazu. Inzwischen hat sich die Familie Steinbauer spezialisiert, betreibt heute drei Geschäfte mit Pizza-Angebot.
"Schützenfeste waren in den 70ern unser Hauptverdienstfeld", sagen beide. "Der Leistungsdruck wie heute aber war nicht da", ergänzt Sohn Gustav- Paul. Damals habe beispielsweise ein Verlosungsobjekt 25 000 Mark gekostet. "Heute kostet das 500 000 Euro", erklärt er und weiß: "Technik, Licht- und Akustikanlage verschlingen so viel, doch der Aufwand muss heute sein." Und Steinbauer senior ergänzt: "Man muss den Leuten das Beste bieten an Optik, Service und Warenqualität, sonst ist man chancenlos, nicht konkurrenzfähig."
Die Steinbauers könnten in Japan, in Osaka, zwei Monate präsent sein, das Angebot liegt vor. Doch allein Standmiete und Nebenkosten würden 30 000 Euro verschlingen. Darüber hinaus muss die Ware vom Veranstalter abgenommen werden. Solche Angebote erzeugen ebenfalls Druck.
Die marode Arbeitsmarktsituation mit ihrem Heer von Arbeitslosen kommt dazu: "Früher war alles auf einen Nenner zu bringen", sagt Gustav Steinbauer. Zwei Mal im Jahr war Kirmes, da kamen die Leute. "Weil der Arbeiter Geld hatte, hatten wir auch welches; der Arbeiter ist unser Kunde." Doch heute sei bei dem das Geld knapp. Und die letzten Euros werden zudem meist nicht wie früher auf den Jahrmarkt getragen: "Wir Schausteller sind ohnehin das letzte Glied in der Ausgabekette".
Heute sei auf jedem Bauernhof oder bei den Vereinen "Tag der offenen Tür" gang und gebe. Das bedeute Konkurrenz durch Billigpreise. "Wir aber haben fünf Transporter zu fahren, und Städte und Gemeinden lassen sich heute das Platzgeld fünf Monate im Voraus bezahlen", nennt Steinbauer senior weitere schwierige Faktoren und erklärt: "Wir schlittern in eine schwierige Zeit hinein, wenn sich nicht grundlegend etwas in der Arbeitsmarktpolitik und auf dem Mineralölpreissektor ändert." Nur derjenige könne sich dann noch behaupten, "der einen breiten Rücken hat".
Nicht zuletzt aber sei auch ein Wandel in den Schausteller-Familien selbst erkennbar. "Früher blieb die Jugend so lange im elterlichen Betrieb, so lange es ging, heute wollen die jungen Leute selbstständig sein in dem Gewerbe", erklärt Steinbauer senior und betont: "Alles muss für sie schöner und besser sein - die Konkurrenz wird größer."
Traditionsmärkte, auf denen beispielsweise auch Haushaltswaren noch ihren Stellenwert haben, seien selten geworden. In Vechta, Bruchhausen-Vilsen, Oldenburg und selbst auf dem Martinimarkt im kleinen Wilhelm-Busch-Geburtsort Wiedensahl sind sie noch zu finden. "Da läuft´s", freuen sich die Steinbauers, "da kommen die Leute gezielt hin." Dort sei noch Ursprung, spürbar, Tradition: "Da feiern die richtig ab."
Immer noch zähle der Familienzusammenhalt, der gegenseitige Respekt von Alt und Jung. Der sei im Umgang miteinander das A und O, der Grundstein für ein intaktes Schaustellergewerbe.
Und so hält die große Schausteller-Familie in diesem Sinn an ihrem Wahlspruch für den Jahrmarkt fest. Der soll sein ein Ort des Handelns und der Kommunikation, ein Treffpunkt für Vereine, eine Stätte der Begegnung, kurz: Einfach ein Ort zum Fröhlichsein.