Es ist der 20. Juli 1995.
Roman Herzog ist Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Kohl steht als Kanzler an der Spitze der Regierung. Die Geschicke des Landes Nordrhein-Westfalen leitet Johannes Rau als Ministerpräsident.
Helmut Kohl bekleidet seit Amt bereits seit 1982, Johannes Rau sogar seit 1978.
Auf der Düsseldorfer Rheinkirmes war der Star seit Jahren der "Thriller", eine Achterbahn, die dem Namen Thrill-Ride eine neue Bedeutung gab. Ein First-Drop, der heute noch seines gleichen sucht, gefolgt von einer Taldurchfahrt mit den höchsten
G-Kräften die ich je erlebt habe. Daran schlossen sich 4 nahezu kreisrunde Loopings an, die mit ähnlichen Kräften aufwarten konnten.
Der Thriller war nichts für Laternenparker, Turnbeutelvergesser, Warmduscher oder sonstige aus dieser Kategorie. Der Thriller war was für die ganz mutigen. In den ersten Jahren mussten mehrere Personen mit Schleudertraumen behandelt werden, da die Bahn nur mit simplen Beckenbügeln ausgestattet war.
Später wurden Schulterbügel nachgerüstet, die jedoch von oben heruntergezogen werden mussten, was den großen Nachteil hatte, dass sie im Tal nach dem First-Drop immer ein bis zwei Rasten nachrutschten und so stets für blau-grüne Schultern sorgten.
Aber wie schon erwähnt, schreiben wir das Jahr 1995 und da sollte alles anders werden:
Oscar Bruch und Werner Stengel hatten sich vorgenommen, dem deutschen Publikum etwas noch nie Dagewesenes zu präsentieren. Der erste Inverted-Coaster hatte vor gerade mal drei Jahren das Licht der Welt erblickt und war sehr weit weg und so hatten die beiden Achterbahn-Guru's die geniale Idee, auch solch eine Bahn zu bauen, jedoch als reisendes Fahrgeschäft.
Genau diese Bahn, der "Euro-Star" sollte auf der "größten Kirmes am Rhein" in Düsseldorf Premiere feiern. Leider waren die technischen Probleme bei der Fertigung doch größer als erwartet, und so kam es, dass der Eurostar zwar so weit wie möglich in Düsseldorf aufgebaut wurde, aber die letzten Teile noch fehlten.
An jenem Tag, es war ein Donnerstag, die Kirmes lief schon seit Samstag stand der alljährliche Besuch der Rheinwiesen an. Die regionale und überregionale Presse hatte schon berichtet, dass die diesjährige Kirmes für Fa. Bruch wohl eher ein finanzielles Desaster werde würde, da die neue Hauptattraktion nun mal nicht durch schön aussehen bezahlt wird.
Ach, das waren noch Zeiten. Da musste man sich Informationen mühsam aus der Zeitung besorgen, da schmiss man noch nicht einfach das Web an um sich detailliert über sein Lieblingshobby zu informieren. Natürlich gab es da schon T-Online und AOL und noch ein paar andere, aber von DSL war man entfernt wie die Erde vom Mond. Zügig war man mit einem 56k-Modem unterwegs, ganz schnelle nutzten ISDN mit Kanalbündelung.
Zurück nach Düsseldorf an jenem historischen Donnerstag.
Wir begannen unserer Runde wie immer an der Oberkasseler Brücke, da wir (auch wie immer) mit der K-Bahn angereist waren. Schon von hier aus überragte die imposante Struktur des "Euro-Star" nahezu das gesamte Gelände. WOW!.
Je näher wir der Bahn kamen, desto klarer wurde uns, dass ja gar keine Schienenteile mehr fehlten und die Bahn komplett war. Diese mussten also im Laufe des Tages eingetroffen und montiert worden sein.
Wir befinden uns mittlerweile direkt an der Bahn, der riesige Vorplatz ist voller Menschen, die sich dieses imposante neue Juwel genauer anschauen. Der Bereich vor den Kassen ist mit Absperrgittern versehen, die Kassen sind geschlossen.
Auch wir können unsere Augen kaum von dem (es ist 1995!) einmaligen Anblick der Bahn wenden. Und dann auf einmal passiert es:
Ein Zug erklimmt den Lifthill...
...und bleibt kurz vor dem Ende stehen.
Nach einer Pause nimmt der Zug den Rest des Lifthills und rauscht in die Tiefe.
Die Menge ist begeistert, sehen doch die allermeisten (uns eingeschlossen) hier zum ersten Mal eine Achterbahn, wo die Züge unter der Schiene hängen.
Schon als der Zug auf den Lift kam, waren wir unwillkürlich näher an den Kassenbereich gegangen. Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, wie einige Personen über die Absperrung vor den Kassen klettern.
Sollte der "Euro-Star" heute doch noch eröffnet werden?
Auf jeden Fall klettern auch wir so schnell wie möglich über das Gitter und habe zunächst endlich wieder etwas mehr Platz als in dem Gedränge auf dem sonstigen Vorplatz.
Aber nicht lange. Mit jedem Testzug, der über die Strecke geschickt wird, kommen mehr und mehr Leute über die Absperrung. Schließlich ist es so eng, dass ich nur noch einatmen kann, wenn der vor oder hinter mir ausatmet und umgekehrt. Und das ist jetzt wirklich nicht übertrieben.
Wir stehen also da, atmen reihenweise ein und aus und plötzlich geht das Licht im Kassencontainer an, die Jalousien werden hochgezogen und die Kassen besetzt.
Jubelstürme brechen los, die Kassen werden geöffnet und die Menge strömt hindurch.
Natürlich nicht, ohne vorher den Fahrpreis (ich glaube es waren 13,- DM bin aber nicht mehr sicher, können auch 15,- DM gewesen sein) zu entrichten. An diesem Abend hätten die Bruchs auch 100,- DM für die Fahrt nehmen können, ich hätte sie bezahlen müssen. Denn einen Weg weg von der Kasse gab es nicht mehr, alles drängte in diese Richtung.
Also gut, Ticket gekauft und ab in Richtung Bahnhof. Vor dem Betreten des selbigen das Ticket schon wieder abgeben und anstellen.
Der erste Zug, der jemals mit Publikum gefahren ist befindet sich schon auf der Strecke, der zweite Zug im Lift, in den dritten dürfen wir einsteigen.
Wir können also noch nicht mal in die Gesichter der "Rückkehrer" der ersten offiziellen Fahrt blicken. Kurze Bügelkontrolle durch das Personal und dann geht es los:
Was soll ich sagen, es war bis heute die geilste Inverted-Coaster-Fahrt meines Lebens. Die Fahrt war butterweich, es gab keine Schläge und auch das Layout war äußerst stimmig.
Bei der Einfahrt in den Bahnhof wurden wir vom Personal mit den Worten begrüßt: "Geil, oder?". Das war jedoch total untertrieben, es war das Beste, was ich zum damaligen Zeitpunkt jemals gefahren bin.
So waren wir also durch ein bisschen Glück und Zufall unter den ersten 72 Leuten, die jemals (offiziell) auf dem Euro-Star gefahren sind.
Leider hat der "Euro-Star" von Jahr zu Jahr in Sachen Fahrkomfort abgebaut, was m. E. aber auch nicht ausbleibt bei einer reisenden Bahn.
Trotzdem bin ich froh, meinen ersten
Inverter 2007 in Bremen noch einmal, auch mehr oder weniger zufällig, gefahren zu sein, denn im Moskau werde ich ihn wohl nicht besuchen.
So war das, damals 1995 im schönen Düsseldorf.
mfg P.W.K