Als ich um die Jahrtausendwende das allererste Mal davon gehört habe, dass Disney eine Kreuzfahrtlinie plant, kam mir die Idee vergleichsweise absurd vor. Genauer betrachtet wiederholt sich hier jedoch, was schon 1955 zur Eröffnung von Disneyland führte: Sicher gab es vorher schon Volksfeste und Kirmessen, nur war das dort gemeinhin anzutreffende Publikum kaum dazu angetan Familien mit (kleinen) Kindern anzuziehen. Gleiches gilt für die „normale“ Kreuzfahrtindustrie: diese richten ihr Angebot mit Casinos und Bars eher an den Bedürfnissen von Erwachsenen aus. Und genau diese Nische besetzt Disney mit seinen vier Schiffen
Magic,
Wonder,
Dream und
Fantasy.
Angeregt von
Donnerbalken's
überschwänglichen Bericht hatte Ende letzten Jahres die Gelegenheit, zu testen, wie viel Spaß eine dreitägige Kreuzfahrt mit der
Dream macht. Bereits die Buchung über die
Internetseite ist ein Erlebnis. Im Vergleich zu vielen anderen Online-Angeboten sogar ein sehr angenehmes. Man wählt Ziel und Zeitraum, Kabinenkategorie (gestaffelt nach innen, außen, mit oder ohne Balkon, weit oben oder eher unten, mit „Concierge“-Service oder ohne) und tatsächliche Kabine, stellt Aktivitäten wie Landausflüge zusammen und bucht Restaurants vor. Man füllt Reiseformulare aus und trägt die teilnehmenden Personen ein. Alles im höchsten Maße deppensicher gestaltet.
Wenige Wochen vor dem Auslaufen erhält man dann Post aus Florida mit einem kleinen Büchlein, das die Bordunterlagen enthält. Flankiert wird das Ganze durch eine Flut von E-Mails, in denen die Vorfreude immer mehr angeheizt wird. Alles in Allem alles andere als unangenehm: Disney erzeugt sehr gezielt das Gefühl, hier etwas ganz Besonderes und Einmaliges zu erleben. Eine Pre-Show sozusagen.
Wer sich nicht mit dem „Disneys Magical Express“-Bus vom Flughafen oder einem Disney-Hotel abholen lässt, der fährt mit dem Auto nach Port Canaveral, folgt den Disney-Pfeilen auf der Fahrbahnmarkierung und lässt sich sein Gepäck abnehmen, das dann bereits aufs Schiff verbracht wird. Darauf stellt man sein Auto im riesigen Parkhaus ab und begibt sich in die Abreisehalle, um letzte Formalitäten zu erledigen und sich zum ersten Mal von einem der freundlichen Mitarbeitern ein Desinfektionstuch reichen zu lassen, denn wenn Disney eines fürchtet wie den Tod und Teufel, dann scheint das Norovirus zu sein.
Danach geht es durch einen Mickey-Mouse-ohrigen Tunnel aufs Schiff, nicht jedoch ohne eine Passkontrolle, ein Begrüßungsfoto und ein weiteres Desinfektionstuch.
An Bord wird man dann in der großzügig gehaltenen Eingangshalle von einer Art Kastellan begrüßt, der unter höflichen Beklatschen weiterer weiß livrierter Disney-Mitarbeiter lauthals verkündet, dass der Herr Henrichs samt Gattin nun endlich an Bord sei. Wie schön!
Hier das beeindruckende Foyer.
Zu diesem Zeitpunkt gilt es noch ein wenig Zeit zu überbrücken, bis die Zimmer bereit und das Gepäck dort abgestellt worden ist, also beginnt man mit der Hauptbeschäftigung an Bord: dem Essen (vorher Desinfektionstuch). Dieses (Essen und Tuch) ist im Cruisepreis enthalten und es gibt es reichlich (wieder Essen und Tuch). Zunächst einmal bietet das Schiff drei Hauptrestaurants, in denen es nach einem Rotationsprinzip Frühstück und Abendessen (und Desinfektionstücher) gibt: die eher kitschigen
„Enchanted Garden“ und
„Royal Palace“ sowie das
„Animators Palate“, dazu aber später mehr. Sollte das nicht reichen, gibt es zusätzlich das Buffet-Restaurant
„Cabanas“ und diverse Eis-, Pizza und Frittenbuden.
Wem das Abendessen in den drei beschriebenen Hauptrestaurants zu rummelig ist, der kann einen Tisch in einem der Erwachsenenrestaurants
„Palo“ (italienisch) oder
„Remy“ (französisch) buchen, was allerdings ein bisschen extra kostet.
Im Enchanted Garden.
Insgesamt ist das Essen auf sehr hohem Niveau und die Tischkellner sehr aufmerksam. Dennoch haben mir zwei Punkte nicht so gut gefallen:
- Das Ambiente im von uns gebuchten Norditaliener (sic!) „Palo“ habe ich, als jemand der „echte“ italienische Restaurants (sowohl in Italien, als auch in Deutschland, aber auch in den Staaten) bereits kennt, als weitestgehend grotesk empfunden. Vielleicht mag einem Amerikaner aus dem mittleren Westen staunend die Kinnlade herunterfallen, wenn mit viel Getöse Parmesan („a very delicious north ialian cheese“) als die kulinarische Situation angepriesen wird, mir war aber nicht erst seit „Miracoli“ bewusst, dass es so etwas wohl geben soll. Auch die Beschallung mit penetranten Dauerarien hat nicht unbedingt die romantische Stimmung gefördert.
- Okay, das war jetzt Jammern auf hohem Niveau. Komplett daneben fand ich jedoch das „Signature Restaurant“ „Animators Palate“. Hier ist nämlich gut gemeint nicht gut gemacht. An den Wänden des Speisesaals befinden sich dutzende großformatige Videoscreens, auf denen während des gesamten Essens interaktive Videoprojektionen gezeigt werden. Wer „Turtle Talk“ im Epcot, „Monsters Inc. Laugh Floor“ im Magic Kingdom oder „Stitch live!” aus den Disneyland Studios in Paris kennt, der weiß, worum es hier geht. Nur: wenn ich esse, dann will ich mein Essen auch in Ruhe(!) genießen und nicht permanent von irgendwelchen Flimmerkisten abgelenkt werden. Soll ja auch gesünder sein.
Genug von Essen und Desinfektionstüchern, ich bekomme schon wieder Hunger und ein zwanghaftes Verlangen meine Hände zu waschen. Denn an Bord gibt es Dutzende Möglichkeiten, sich aufs angenehmste bespaßen zu lassen. So gibt es ein großes Theater, in dem jeden Abend Gesangsshows gegeben werden, die wirklich absolut sehenswert sind: Broadway Niveau, ohne Wenn und Aber.
Eine der Abendshows
Tolle Stimmen - tolle Ausstattung. Gefiel.
Darüber hinaus gibt es abends an Deck kleine Showeinlagen, eine Piratenparty, ein Open-Air-Kino, ein Feuerwerk auf See und – wenn man das will – über das ganze Schiff verteilt „Character Encounters“. Dennoch ist der Disney-Faktor sehr dezent, alles kann, nichts muss.
Bespaßung mit Mickey und Donald.
Feuerwerk.
Kaboom.
Es gibt auch einen Spa-Bereich, der jedoch ebenfalls „upcharge“ ist, was allerdings aufgrund der geringen Größe in Ordnung geht. Wirkliche Ruhe und Entspannung findet man dort gleichwohl nicht, es ist schließlich ein amerikanisches Schiff.
An Deck gibt es eine breite Auswahl von Pools und Bars und sogar einen „Aqua Coaster“, eine transparente Röhre, durch die permanent Wasser gepumpt wird und die man mit Gummireifen „bereiten“ kann. Nichts spektakuläres, aber nett.
Eine der Bars
Wer abends auf die Piste gehen will, der findet unter Deck eine Reihe von Bars und Clubs, in denen teilweise auch hörenswerte Live-Musik gespielt wird. Leider wirkte sich das permanente leichte Schaukeln des Schiffs bei mir fatal auf den Schlafrhythmus aus: bei mir reichten stets drei Minuten Auf-dem-Rücken-Liegen in den gemütlichen Betten, verbunden mit den leichten Schwingungen des Schiffs aus und ich war eingeschlafen. Im-Mutterleibs-Feeling. Gegen bestimmte Dinge kann der Körper nicht an.
Ansonsten dürfte das Schwingen, Schlingern und Schaukeln des Schiffs nicht jedermanns Sache sein. Es ist jetzt nicht so, dass ich über der Reling hängend die Fische gefüttert hätte, es ist vielmehr ein leichtes Unwohlsein. Es sind auch keine großen weit ausladenden Schwingungen, die das Schiff vollführt, es ist mehr ein leichtes, unregelmäßiges Zittern, offensichtlich das, was die Schiffsstabilisatoren vom Seegang übrig lassen.
Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Während einer Disney Kreuzfahrt, findet neben Essen, Essen, Essen, Desinfektionstüchern, Show, Party und nochmal Essen tatsächlich auch eine Kreuzfahrt statt. Unsere führt zunächst nach Nassau, der Hauptstadt der Bahamas. Hierzu kann ich nicht sonderlich viel sagen, mea culpa. Wir hatten nur drei Tage an Bord und wollten auch ein bisschen vom Schiff selbst sehen, daher haben wir es bei einem kurzen Landgang und einem Spaziergang rund um das Dock belassen.
Landgang auf Nassau. Hier das Hotel Atlantis.
Interessanter war ohnehin der zweite Stopp der Cruise. Dieser findet nämlich auf
„Castaway Cay“ statt, einer Disney-Privatinsel. Ganz ehrlich: ich bin zwar nicht der Strand-Typ, aber diese Insel ist der Hammer. Südsee-Feeling pur.
Castaway Cay verfügt über zwei Strände: einen Familienstrand und einen für Erwachsene, den „Serenity Bay“. Und natürlich Dutzende Fressbuden, Strandbars und hast Du nicht gesehen. Allerdings hatte ich zu diesem Zeitpunkt die Fresserei (und vor allem den Anblick von ohne Unterlass fressenden Touristen) so gründlich satt, dass ich hier eine kalorische Auszeit genommen habe. Es mag aber auch daran gelegen haben, dass die Ausrichtung der Veranstaltung auf regelmäßige und reichliche Nahrungsaufnahme dazu führt, dass sich hauptsächlich Leute dafür interessieren, die auf regelmäßige und reichliche Nahrungsaufnahme Wert legen. Und irgendwie vergeht mir der Appetit, wenn ich nur genügend von diesen Leuten halbnackt am Strand liegen sehe. Positiver Nebeneffekt: ich bin figürlich nicht unbedingt Iggy Pop, im Cruise-Durchschnitt war ich aber regelrecht schlank. Alles einer Sache des Kontexts.
Die gesamte Insel ist dezent aber effektiv thematisiert und man fühlt sich wirklich wohl. Gelegentlich kommt auch schon einmal der eine oder andere Character vorbei, was zur allgemeinen Erheiterung beiträgt.
Castaway Cay ist ein positives Zerrbild der Südsee, das jedes nur denkbare Klischee übererfüllt. Mir hat’s prima gefallen, gerne wäre ich länger als nur einen Tag geblieben.
Ankern vor Castaway Cay
Die Insel im Überblick.
Freßstation. Darf nicht fehlen.
Tolle Thematisierung.
Noch mehr tolle Thematisierung.
Wie schon gesagt: Klischeehaftes Südsee-Feeling pur.
Nein, der Pelikan ist nicht echt.
Captain Jack Sparrow
Der Bespaßungs-Strand mit Kinder-Bespaßungs-Anlage.
Blick zurück auf das große Schiff.
Meer und Strand.
Aber jede Cruise findet irgendwann ihr Ende, und eine 3-Nächste-Kreuzfahrt entsprechend früh. Umso erfreulicher war die Abschlussveranstaltung im großen Theater, in der Clayton, der Cruise Director, uns Gäste aufs herzlichste verabschiedet hat. Große Show, ganz toll.
Der Cruise-Director Clayton.
Insgesamt ist das den Cast Membern schon so eine Sache. Wer schon einmal in einem Disney Park in den Staaten zu Gast war, dem wird die schier überbordende Freundlichkeit der Mitarbeiter aufgefallen sein. Wobei diese oberflächliche Attitüde (im positivsten Sinne) auch in großem Maße von generellen amerikanischen Umgangsformen geprägt ist (die ich persönlich mehr schätze als das Sauertöpfische, das Deutsche gelegentlich an den Tag legen). Nur: wie viele andere Kreuzfahrten rekrutiert auch Disney seine Besatzung vornehmlich aus Niedriglohnländern, insbesondere aus Osteuropa. Und wenn ein knurriger Weißrusse wiederholt „Tastes good? Yes?“ fragt, dann traut man sich gar nicht, etwas anders als „Excellent“ zu antworten.
Das obligatorische „Tippen“ der Crew ist für einen Europäer ebenfalls ein gutes Stück weit befremdlich: Dass Essen, Trinken und Desinfektionstücher im Reisepreis enthalten sind, bedeutet nämlich lange noch nicht, dass man um die „Gratuity“ herumkäme. Vielmehr sind Hilfskellner, Oberkellner, Ober-Ober-Kellner und Kabinen-Steward einzelne Briefumschläge zu überreichen, die man vorher mit Gutscheinen befüllt, die man vorab an der Schiffs-Rezeption erstehen muss. Und speziell den „Ober-Ober-Kellner“ mussten wir uns erst einmal vom „Oberkellner“ zeigen lassen – wir hatten ihn vor der obligatorischen Tipp-Aktion nämlich gar nicht zu Gesicht bekommen.
Auch die obligatorische „Sicherheitsübung“ zu Cruisebeginn, bei der sich alle Gäste an den Rettungsbooten einzufinden hatten, war wenig dazu angetan, mein allgemeines Gefühl der Sicherheit zu steigern: das Ganze lief so chaotisch und unkoordiniert ab, dass ich eher den Eindruck hatte, dass wir im Fall einer Havarie tendenziell ertrinken würden.
Das Schiff ist hingegen eine reine Augenweide. Meyer Werft halt. Die Kabinen sind ausgesprochen geschmackvoll ausgestattet und alles ist sauber und neu. Insgesamt strahlt das Schiff die warme Eleganz längst vergangener Ozeanriesen aus, gegen die sich die Riesenpötte von Norwegian und Carnival wie schwimmender sozialer Wohnungsbau ausnehmen. Kitsch ist auf der Disney Dream ein gezielt und ausgesprochen dezent eingesetztes Stilmittel (denn man weiß ja, was die angestrebte Klientel erwartet). Auch das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt absolut: für die Dreitages-Cruise ist man schon ab ¤500 pro Person dabei, wie schon gesagt: incl. Essen, Essen, Essen. Und Desinfektionstücher, so viel man will. Da kann man wirklich nicht meckern, zumal die Gesamtleistung – allen Meckerein zum Trotz – absolut auf Premium-Niveau liegt. Und zwar in jeder Hinsicht.
Die Disneysierung der Thematisierung blieb weitestgehend auf dem Teppich.
In unserer Kabine
Draußen hatte Disney zu unserer Unterhaltung einen Ozean angebracht. Sah toll aus.
Blick über das Deck mit dem Aqua-Coaster.
Der Schornstein war zwar 100% Fake, verströmte aber Ozeanriesen-Feeling pur.
Macht auch im Dunklen eine sehr gute Figur.
Kunstvoll thematisiertes Heck.
Stolz und maquestätisch erhob sich die Disney Dream
Auch ist es ausgesprochen lohnenswert, einen Orlando-Urlaub mit einer Cruise in der Mitte zu teilen. Wir haben das gemacht und die nicht einmal zwei Wochen lange Reise fühlte sich gleich wesentlich länger an, es waren sozusagen drei Urlaube in einem.
Dennoch bin ich nicht sicher, ob ich eine solche Kreuzfahrt nochmals wiederholen würde. Machen wir uns nichts vor: dieser Drei-Tages-Hüpfer ist schon ein wenig pointless, der Reisegedanke tritt bei einer so kurzen Fahrt in den Hintergrund. Nur bin ich nicht sicher, ob ich die an Bord praktizierte Fress-Orgie sieben Tage oder länger ertragen würde. Aber ich würde jedem raten, es einmal auszuprobieren, denn ein tolles Erlebnis ist es auf jeden Fall.
Sonnenuntergang auf See ...
... Dieser war im Übrigen nicht im Event-Kalender vermerkt, so dass wir ihn quasi alleine am Schiffsbug stehend genießen durften.