Es ist eine dieser Sachen, die man nicht kennt, bis man einmal von ihr gehört hat: eine Achterbahntour. Zu lange wurde der Blick auf Coaster-Count von dem Gefühl begleitet, eigentlich noch gar nichts gefahren zu sein, sodass es nun an der Zeit sein sollte, dies endlich zu ändern. Um vier Uhr morgens klingelte der Wecker und alsbald packte ich meine zwei Taschen an den Riemen, ließ sie genüsslich in den Kofferraum plumpsen und setzte mich erstmal bis 9:30 in den fahrbaren Untersatz, der in den folgenden neun Tagen mehr oder weniger meinen einzigen festen Wohnsitz darstellte. Ein kurzes Nickerchen am Bahnhof Soltau, denn Schlaf könnte in der nächsten Zeit Mangelware werden und es galt immerhin, knapp 3200km zurückzulegen. Kaum öffnete ich die Augen, erhielt ich auch schon das erste Lebenszeichen von F623, meinem ersten Mireisenden, der mit dem Zug angefahren kam, sodass wir gegen 11:00 den Heide Park betreten konnten.
Scream sollte zwar heute nicht gefahren werden, aber der Anblick allein löste beflügelte Erinnerungen aus
Indy-Blitz.
Zum ersten Mal seit vier Jahren durfte ich also die Tore des Heide Park passieren. Für F623 lag der letzte Besuch noch nicht so lange, nämlich gerade einmal zwei Wochen, zurück. Einen Besuch in Norddeutschlands größtem Freizeitpark lässt man sich ja bekanntlich nicht entgehen und so war ich dann doch überrascht, wie wenig ich mich im Park zurechtfand. Das konnte ich allerdings guten Gewissens darauf schieben, dass sich in den letzten vier Jahren doch so einiges getan hat. Vor allem die schiere Menge an Besuchern habe ich in diesem Ausmaß noch nicht zu Gesicht bekommen, jedoch beharrte der Countologe in mir darauf, eine halbe Stunde Wartezeit für Indy-Blitz über sich ergehen zu lassen. Die Anlage ist unspektakulär und vor allem ein wenig einfallslos dargeboten, reicht den kleinen Besuchern aber offenbar aus. Indy-Blitz gehört für mich persönlich jedoch in die unterste Schublade an Achterbahnen, was aber nicht der Tatsache geschuldet sein soll soll, dass sie für Kinder angelegt ist: Gegenteilig zeigen ja zum Beispiel Duinrell oder Tripsdrill, mit welch hohem Anspruch man eine Kinderachterbahn errichten kann, aber dazu noch mehr im Verlauf der nächsten Wochen.
Bilder von Indy-Blitz
Entgegen meiner Tirade erfreuen sich die Besucher doch an Indy-Blitz
Indianer in kniehohem Gras
Colossos.
Counts beiseite, schließlich befand ich mich im Park mit meiner bis dato absoluten Lieblingsachterbahn. (Einige werden gerade den Kopf schütteln und denken: "Ist gut, dass der endlich mal rumgekommen ist...") Nach ziemlich genau 100 Minuten Wartezeit belagerten wir die letzte Reihe und sicherten uns. Nach einer weiteren Minute öffneten sich die Bügel wieder: "Colossos hat Gurte, die dürft ihr benutzen!", rief eine Dame (Operatorin?), die angesichts des bereits in der Schlussbremse wartenden Zuges nicht mehr allzu entspannt war.
Der Zug versetzt sich langsam ins Rollen und hakt im Kettenlift ein. Gutmütig aufgerundete 60m wollen erklommen werden und das geschieht dann auch recht flott und gnadenlos. Die Kurve vor dem
First Drop eröffnet nochmal die wohlbekannte Aussicht über den Park und seine Umgebung, während sich ein Gefühl von Euphorie anbahnt, ehe die Köpfe der Passagiere in der First Row verschwinden. Der Zug zieht nach vorne und es folgt genau die Art von
Airtime, für die es sich lohnt, um 4:30 morgens ins Auto zu steigen. Die noch bevorstehenden Tage ziehen vor dem inneren Auge vorbei und schon unternimmt das Ungetüm auf dem ersten
Camelback den offensiven Versuch, seine Mitfahrer abzuwerfen.
Das wahrlich Schöne an dieser Anlage ist ja, dass man ebendiesen Versuch bereits im Wartebereich zu hören bekommt. Das Geräusch, das die
Upstop-Wheels beim Anpressen gegen die Schiene erzeugen, nennt man ja liebevoll auch den
Intamin-Furz. Während der Fahrt ist man allerdings gedanklich in ganz anderen Sphären, denn die Bahn fordert schon einiges von ihren Fahrgästen. Lediglich der Bunny Hop auf dem Weg zur
Helix gestaltet sich etwas träge und auch in der
Helix selbst verbringt man eine gefühlte Ewigkeit, jedoch weiß man ja, dass das Beste noch vor einem liegt. Die letzten drei Camelbacks offenbaren die gewohnte
Airtime-Orgie, in der Schlussbremse macht sich ein Grinsen breit. Nochmal? Gerne, aber zwei Stunden waren dann doch etwas happig.
Bilder von Colossos
Die Wegführung lässt leider keine Nahaufnahmen zu
Angenehme Bodenpressung bei der Helixausfahrt
Airtime bis in die Haarspitzen
Sinnvoll genutzte Wartezeit
Allerdings vergeht einem nach einer Stunde auch mal der Spaß, den Zügen zuzugucken
Fazit: Das Teil lohnt und braucht sich vor keiner Bahn verstecken
Desert Race.
2008 war diese Bahn noch mein erster Launch-Coaster und hat mich mehr oder weniger aus den Socken gehauen. Mein damaliges Bild der Bahn lässt sich kurz zusammenfassen: Launch geil, Rest unnötig. Dieses Jahr war Desert Race die einzige Anlage, die wir nicht nur einmal betreten haben, was der durchaus angemessenen Wartezeit von einer halben Stunde zuzuschreiben war.
Die besagte halbe Stunde verging recht schnell, da sich der Operator im Helikopter per Durchsage den ein oder anderen dämlichen Kommentar erlaubte. Es waren diese Durchsagen, durch die der Heide Park für mich irgendwie den letzten Cent an Seriosität verloren hat. Gerade dem neuen Publikum scheinen solche Späße ja zu gefallen. Als Vater, der dort mit seinen hypothetischen Kindern wartet, wäre ich von der Aktion ja nicht allzu begeistert gewesen.
Die Fahrt auf Desert Race selbst ist für mich ein komplett anderes Erlebnis geworden. Der Launch ist noch immer kräftig, aber nicht in dem Maße, dass einem die Augen nach hinten aus dem Kopf purzeln, wie ich es in Erinnerung hatte. Den Rest der Bahn hab ich im Vergleich zu 2008 wesentlich eleganter erlebt. Damals hat mir die Bahn in den Umschwüngen noch ordentlich auf die Löffel gegeben, dieses Jahr empfand ich die Bahn als extrem angenehm. Vor allem bei der zweiten Kurve war ich positiv überrascht, da man hier doch einiges an Vertikalbeschleunigung zu spüren bekommt. Im Gedächtnis bleiben zwei schöne, kurze Fahrten mit einer angenehm hohen Durchschnittsgeschwindigkeit.
Bilder von Desert Race
Schienenknäuel mit Helikopter
Entspannungskurve
Themingansätze im Land der Vergessenen
Beinahe obligatorisches Bild glücklicher und verwaschener Gesichter
Big Loop.
Unser nächstes Ziel ging auch nicht zu Gunsten irgendeines Count-Kontos. Big
Loop habe ich im Jahre 2008 gar nicht erst betreten, da ich sie als extrem schmerzhaft in Erinnerung hatte. (Gegenteilig habe ich mir 2008 dennoch die Ohren auf Limit wärmen lassen.) So sollte sich nun der Spieß umdrehen. Angesichts der beiden noch folgenden SLCs auf der Coasterliste der Tour konnten wir Limit getrost links liegen lassen, wohingegen eine Fahrt auf Big
Loop für mich zum Pflichprogramm wurde, da mich die Qualität der Bahn mit neuen Zügen einfach zu sehr interessierte. Im Vergleich sagt mir mein Bauchgefühl, dass die Bahn damals mehr blaue Flecken verteilt hat. Jedoch schlagen gerade die Corkscrews und die Schlusshelix noch ordentlich. Dennoch würde ich die Bahn in ihrer Summe als noch fahrbar, aber nicht außgerwöhnlich fahrenswert, einstufen. Dass
Vekoma Multilooper mehr draufhaben, sollte im Verlauf der nächsten Tagen noch bewiesen werden.
Bilder von Big Loop
Quälend langsam geht es nach oben
Ohne Big Loop würde dem Park aber durchaus ein Stück Charme fehlen[/align]
Krake.
Es fällt etwas schwer, das zuzugeben, aber die knapp 500 Schienenmeter dieses Dive Coasters waren wohl der eigentliche Grund meiner Anreise, obwohl ich die Anlage ja insgeheim verlacht habe wie noch keine andere Achterbahn. Es wirkt alles ein wenig wie die Miniatur einer echten Achterbahn: Zum richtigen Dive Coaster fehlen in meinen Augen auf jeden Fall zwei weitere Plätze pro Sitzreihe sowie ein
First Drop, der nicht bei 89° Gefälle verhungert. Letzteres ist aber eher eine Sache, die auf dem Papier "stört" als auf der Bahn selbst.
Jede Menge Angriffsfläche bietet der Heide Park ja durchaus mit seinem neuen
B&M. Zur Eröffnung verfehlte man den Sturz ins Maul noch knapp und ein Jahr später verglich man die neue Thematisierung mit einem Schiff mit Rektalinfektion. Ich muss zugeben, dass auch ich mich zu den Leuten zähle, die nicht verstehen, wieso man das Krakenmaul so plump auf ein Schiff gesetzt hat, das gleichzeitig auch noch von Tentakeln umschlungen wird.
Geben wir der Bahn dennoch eine aufrichtige Chance. Beim Betreten des Wartebereichs wird schnell ersichtlich, dass die Äuglein in den nächsten 90 Minuten nur drei Dinge zu Gesicht bekommen sollen: die Schlusskurve von Krake, Scream und die Warteschlange für Krake Lebt. Ersteres hat mich definitiv am längsten bei Laune gehalten, da der Wagenverbund in der Schlussbremse mit Wirbelstrombremsen verzögert wird, die bei Bedarf in der Schiene versenkt werden können. Für jeden Techniknerd ist es eine wahre Freude, dieses Schauspiel zu beobachten, der Normalbesucher dürfte aber schnell vom Lauten Scheppern die Nase voll haben. Gegen Ende der Wartezeit betritt man noch den durchaus ansehnlich gestalteten Innenbereich des Stationsgebäudes, in dem wir uns für die erste Reihe einreihten. Wir erwischten zwei Mittelplätze.
Auf dem Lift schlug mein Herz schon ein bisschen höher, da der Wagentyp hier wirklich einen aufschlussreichen Einblick in die Lifttechnik & Co. gewährt. Ein Beifahrer scherzte noch, dass ich ja meine Schuhe ausziehen könnte. Angenehm zügig erreichten wir den höchsten Punkt der Anlage und rollten um die 90°-Kurve nach links zum
First Drop, bei dem uns eine weitere Kette mit dem Gesicht nach unten zum Stillstand brachte. Was folgte, war eine durchaus angenehme Überraschung: Im
First Drop hat man ein ziemlich beknattertes Gefühl von Schwerelosigkeit, welches ich als hochgradig genießbar einstufen würde. Verstärkt wird dieses Erlebnis durch das viel zu klein wirkende Maul der Krake, die uns schon hungrig erwartet. Auch am Scheitelpunkt des
Immelmann wiederholte sich dieses etwas eigenartige Schauspiel, während einem noch einige Wassertropfen, die man vor wenigen Metern selbst aufgeschaufelt hat, ins Gesicht fliegen. Ein kleiner Airtimehügel, eine spaßige Kurve und schon mussten wir dabei zu sehen, wie direkt unter unseren Füßen die Bremsschwerter in das Fahrgestell eintauchten.
Es bleiben gemischte Gefühle: Einerseits war das Fahrerlebnis sehr beeindruckend, andererseits ist es so schnell vorbei, dass eine Fahrt kaum ausreicht, um es zu begreifen. Angesichts des regen Betriebs im Park sollte es bei dieser einen Fahrt bleiben, die aber in jedem Fall ein interessantes Erlebnis war. Jedoch wird man das dumpfe Gefühl nicht los, dass Krake das Experiment von Merlin war, wie minimal man eine Investition in Deutschland halten kann, ohne an ihrer Publikumswirksamkeit einzubüßen.
Bilder von Krake
Der ewige Anblick aus dem Wartebereich
18 Personen mit abgestandenen Füßen befahren den Lift im B&M Komfort-Sessel
Besonders in der letzten Reihe stelle ich mir dieses Element recht mager vor
Man sieht sich am anderen Ende der Darmspiegelung!
Es gibt bestimmt geeignetere Positionen, um diesen Moment einzufangen
Kurve - was für ein grandioses Fahrelement
]
In eleganter B&M-Manier
Und, wie war's?
Sonstiges.
Einen Count (bzw. eher Haken) gab es noch zu holen: den Grottenblitz. Es ist ein ziemlich unspektakulärer Powered Coaster, der meines Erachtens aber deutlich besser auf die kleinen Besucher eingeht als Indy-Blitz. Zu unserer Überraschung sichteten wir im Wartebereich auch noch ein bekanntes Gesicht mit rct-3.org-T-Shirt, allerdings schlug die Kontaktaufnahme durch die halbe Queue fehl. So beendeten wir den Tag mit einer zweiten Fahrt auf Desert Race und nutzten die noch verbleibende Zeit für eine Fahrt auf dem parkeigenen Zug, womit eine kleine Tradition gestartet werden sollte.
Die geringe Ausbeute des Besuches war dreierlei Dingen geschuldet: Zum ersten war ein sagenhafter Andrang, bei dem man sich tatsächlich die Füße in die Beine stehen konnten, zum zweiten ist die Motivation, derart hohe Wartezeiten in Kauf zu nehmen, bei bereits bekannten Coastern nicht allzu hoch und zum dritten stand uns noch der Weg nach Hamburg bevor, wo der Sommerdom besucht werden wollte. Wer sich für die anderen Bahnen interessiert (z.B. die famose Bobbahn oder Scream), die ich nicht angesprochen habe, kann durchaus einen Blick in
meinen Bericht von 2008 werfen. In jedem Fall muss ich den Park noch einmal an einem leeren Tag besuchen, um auch mal in Ruhe eine Handvoll Bilder schießen zu können. Setzen wir dazu mal 2015 an, wenn die neue Anlage auch fertig thematisiert ist.
Bilder von der Wildwasserbahn]
Die Wildwasserbahn, die überlebt hat
Alternative Perspektive aus fahrbarem Untersatz
Seid ihr etwa noch trocken...?
In der Summe bin ich gespannt, wie sich der Park weiterentwickelt. An Achterbahnen bietet der Heide Park in Deutschland meines Erachtens eines der abwechslungsreichsten und thrilligsten Programme und ist dementsprechend eigentlich immer einen Besuch wert. Jedoch kippte das Publikum im Vergleich zu 2008 merklich. Von Erzählungen her wirken Vergleiche mit dem Thorpe Park zwar übertrieben, aber es gibt andere Freizeitparks in Deutschland, in denen man sich unter den anderen Besuchern deutlich wohler fühlt. Das diesjährige Marketing spricht ja bereits ganze Bände, wie der Wunschbesucher dort aussehen sollte. Ob Merlin den Heide Park verhunzt, wage ich erst in zwei Jahren zu entscheiden. Nach aktuellem Stand machen sie einige Dinge falsch, aber es ist dann doch nicht zu leugnen, dass Krake eine spaßige Anlage ist (und mit anderen Dive Coastern verglichen auch nicht mehr so kurz wirkt). Die nachträglich aufgestempelten Themenbereiche machen stellenweise auch etwas her, wobei ich immer noch gespannt bin, wie um alles in der Welt die Bobbahn ihren Weg nach Transilvanien finden soll.