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Jens Uwe Kupka
Lensahn
Deutschland . SH
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Verfasst am Sonntag, 24. Oktober 2004 22:26 Themenersteller |
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© Leipziger Volkszeitung vom Sonntag, 24. Oktober 2004
Seiferths lassen sich nicht unterkriegen
"Wenn das Geld knapp wird, sparen die Leute zuerst am Vergnügen", sagt Karussellbesitzer Wolfgang Seiferth. Dabei besteht der Lebensin- und -unterhalt der Seiferths gerade darin: Drei Generationen der Familie sind mit Kinderkarussell, Break-Dancer und Waffelbäckerei auf der Winterkleinmesse am Cottaweg vertreten. Ans Aufhören denken die Schausteller trotz schlechter wirtschaftliche Lage nicht.
Elefant und Drache drehen sich einsam im Kreis, ein Kind winkt aus dem Hubschrauber. "Schauen Sie sich um, wie leer es hier ist" - Wolfgang Seiferth zeigt bedauernd auf sein Kinderkarussell. "Heute Abend wird's zwar noch voller, aber da kommen keine Kinder mehr." Früher, da sei hier noch was losgewesen, seufzt er. Der 69-Jährige muss es wissen, seit 1957 lässt er die Besucher am Cottaweg mit wechselnden Attraktionen den Alltag vergessen. "Vor meinem Kinderkarussell hatte ich schon einen Schießstand, ein Kettenkarussell, ein Riesenrad, eine Waffelbäckerei und eine Losbude", zählt er auf.
Seine vier Kinder arbeiten alle im Schaustellergewerbe, beispielsweise Sohn Jürgen, dem der Break-Dancer gehört. "Die Zukunft sieht für meine Nachkommen nicht gerade rosig aus", meint Seiferth. Die Besucher würden ihr Geld heute dreimal umdrehen: "Die angespannte Wirtschaftslage bekommt unser Berufsstand als Erster zu spüren", klagt der Markranstädter. Trotzdem hat er die Hoffnung auf bessere Zeiten noch nicht aufgegeben. "Ich kann sowieso nicht aufhören. Jedes Jahr im Frühling treibt es mich wieder hinaus. So lange ich noch kann, betreibe ich mein Karussell weiter."
Enkel Mario Seiferth in der Waffelbäckerei macht sich um seine Zukunft noch nicht so viel Gedanken: "Wer weiß, was in einem halben Jahr ist", sagt er lapidar. Spricht's und angelt mit einer schwungvollen Handbewegung die knusprige Teigmasse aus dem heißen Eisen, noch einen Schlag Vanille-Creme drauf, und fertig ist das Werk. Die Hitze des Eisens hat seine Wangen rot gefärbt, die Laune lässt er sich davon nicht verderben: "Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit, ich kann mir nichts anderes vorstellen", sagt der 27-Jährige. Bis 23 Uhr verkauft er am Wochenende auf der Kleinmesse seine Waffeln, danach ist noch eine Stunde putzen angesagt.
Während viele Schausteller Mitte November die Geschäfte abbauen, backt er noch auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt weiter. "Viele denken, wir haben in unserem Beruf so viel Freiheit, das stimmt gar nicht." Im März gehe schon wieder die neue Saison los, bis dahin müsse ausgebessert und repariert werden. Dennoch will Mario wie sein Großvater den Rummel nicht missen: "Ich bin hier geboren, und hier möchte ich auch alt werden."
Auch Vater Jürgen Seiferth hält große Stücke auf die Tradition der über 100 Jahre alten Schaustellerfamilie. Sein Vater habe ihm als Starthilfe eine Waffelbäckerei gegeben, und dasselbe habe er bei seinem Sohn auch gemacht. 1992 habe er sich dann mit dem Break-Dancer seinen Traum erfüllt. Eine Million Euro habe sein rasantes Karusell gekostet, seit zwei Jahren sei er schuldenfrei.
"Ich war noch nie in meinem Leben im Urlaub. Wenn ich nichts zu tun habe, werde ich unruhig", schmunzelt Jürgen Seiferth. Für die Zukunft hat er sich nur eines vorgenommen: 90 Jahre alt werden und seinen Geburtstag auf der Leipziger Kleinmesse zu feiern. "Ich finde, wir sind es unseren Vorfahren schuldig, dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Ein echter Schausteller wird eben mit Höhen und Tiefen fertig."
Kleinmesse bis 7. November; Geöffnet täglich 14 bis 22 Uhr, Freitag und Samstag bis 23 Uhr
Ellen Großhans
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